Übermäßiger Stress in der Kindheit hat weitreichende Folgen – für die Gesundheit Betroffener und damit für uns als Gesellschaft

Eine aktuelle Studie deutet erneut auf die zentrale Bedeutung von übermäßigem Stress in der Kindheit auf die Entwicklung stressbedingter psychiatrischer Erkrankungen hin. Dabei spielt auf der molekularen Ebene der Stressregulierung ein bestimmtes Gen (FKBP5) eine zentrale Rolle. Dieses kann sich durch Stress in der Zeit besonders verändern, in der sich das Gehirn maßgeblich entwickelt. Wenn die Stressverarbeitung nicht gut funktioniert, hat das weitreichende Auswirkungen auf das weitere Leben durch den Einfluss auf psychische und damit gekoppelt immer auch die physische Gesundheit. Und Krankheiten verursachen nicht nur persönliches Leid, sondern immense Kosten.

Unsere Kinder vor übermäßigem Stress so gut wie möglich schützen

Diese Studie verdeutlicht einmal mehr, wie entscheidend für eine positive Entwicklung unserer Gemeinschaft es ist, dass wir sogar nicht nur aus sozialen, sondern auch aus ökonomischen Gründen unsere Kinder vor übermäßigem Stress schützen sollten.

Das Risiko von Kindheitsbelastungen für die spätere Gesundheit ist seit über 25 Jahren bekannt

Bereits 1998 wurde in den USA die erste umfangreiche Studie zum Gesundheitszustand von Erwachsenen in Korrelation mit ihren Kindheitsbelastungen mit rund 10.000 TeilnehmerInnen veröffentlicht. Die Ergebnisse waren eindeutig und sollten uns auch wach rütteln: Je mehr Belastungsfaktoren wie psychiatrisch erkrankte, suchterkrankte oder inhaftierte Eltern ein Erwachsener in seiner Kindheit hatte, desto wahrscheinlicher war es, dass er eine schwere Erkrankung entwickelte und früher starb. Seit dieser Studie gab es Folgestudien und erste Maßnahmen wie ein Sceening für Erwachsene zu ihren Kindheitsbelastungen.

Kinder vor Stress zu schützen sollte zur Chefsache erklärt werden

Wie könnte ein Stressschutz von Kindern in der Praxis aussehen? Dass dieser Ansatz zur „Chefsache“ erklärt wird und sich die Politik ressortübergreifend  – Gesundheit, Familien und Bildung – der Sache annimmt.

Vision und Empfehlungen für die Praxis

  1. Ansatz im Kinderschutz: Ausbau des Kinderschutzes, u.a. personelle Ausstattung des Jugendamtes, attraktive Bezahlung, Ermöglichung von Quereinstieg, attraktive Bezahlung
  2. Ansatz bei den betroffenen Kindern selbst: flächendeckende Implementierung des Themas Stress, Stressbewältigung und Resilienz in die Schulen und angepasst bereits in der Kita (Stressregulationstechniken können ab Kita-Alter gut als Rituale eingeübt werden.
  3. Fortbildung von Kitapersonal, Lehrkräften und Arbeitgebern und Eltern zum Thema – auch online (gerade für die Alleinerziehenden so wichtig)
  4. Ansatz bei deren Eltern – vor allem den Müttern: Elterngeld für mehr als 12 bzw. 14 Monate bezahlen, um eine Halbtagstätigkeit auszugleichen, Mindestrente für Eltern, die ihre Kinder großgezogen haben, einführen; kostenlose Elternschulungen zum Thema
  5. Außerdem sollte das Risiko in der erwachsenen Bevölkerung besser erfasst werden und entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden. Wie es in den USA teilweise bereits passiert, sollten Erwachsene bei einem Arztbesuch mittels Fragebogen zu ihrem Kindheitsstress gefragt werden. Aus den Erfahrungen aus Kalifornien sollte gelernt werden.

Realtitätscheck der Empfehlungen

Ja, mir ist bewusst, dass das vermutlich nicht einmal ansatzweise passieren wird. Aber ich möchte mir von der nächsten Generation nicht vorwerfen lassen müssen, ich hätte geschwiegen oder war tatenlos. Mit dem Wissen kommt auch die Verantwortung.

Weiterführende Links / zitierte Studie

ACEs Aware Progress Report 2019-2023

Vincent J. Felitti, Robert F. Anda, Dale Nordenberg, David F. Williamson, Alison M. Spitz, Valerie Edwards, Mary P. Koss, James S. Marks et: Relationship of Childhood Abuse and Household Dysfunction to Many of the Leading Causes of Death in Adults – The Adverse Childhood Experiences (ACE) Study, in: American Jounal of preventiv medcin 1998, S. 245-258, online: https://doi.org/10.1016/S0749-3797(98)00017-8

Torsten Lauer, Referat Kommunikation und Medien Zentralinstitut für Seelische Gesundheit: Wie Stress in der Kindheit die Genaktivität beeinflusst und das Risiko für psychische Erkrankungen erhöht, online bei idw 09.04.2024

 

Kremer et al.: Multimodal Associations of FKBP5 Methylation with Emotion-Regulatory Brain Circuits. Biol Psychiatry. 2024 Mar 7:S0006-3223(24)01141-7. doi: 10.1016/j.biopsych.2024.03.003.
https://doi.org/10.1016/j.biopsych.2024.03.003
https://www.biologicalpsychiatryjournal.com/article/S0006-3223(24)01141-7/fullte…

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