Dass Körper und Psyche in Wechselwirkung treten, ist bekannt. Im Fokus dabei steht oft, dass die Psyche körperliche Beschwerden verursacht – auch als Psychosomatik bekannt. Doch warum sollte das nicht auch anders herum funktionieren? Damit beschäftigt sich das noch junge interdisziplinäre Forschungsgebiet der Psychoneuroimmunologie bzw. Psychoimmonologie. Vielleicht sind einige noch als psychische Erkrankungen bezeichnete Störungen keine solchen, sondern es gibt rein körperliche Ursachen? Vieles spricht dafür.
Wüssten wir mehr Wechselwirkungen von Körper und Psyche, würde das die Basis für neue und mittunter effektivere und effizientere Behandlungsmöglichkeiten sein. Es gibt auf jeden Fall immer wieder Hinweise, dass körperliche Ursachen zu schweren psychischen Auffälligkeiten führen – zumindest bei manchen Menschen. Wenn es zur genetischen Veranlagung bestimmte Infektionen erfordern würde, um bestimmte Erkrankungen zu entwickeln, würde das erklären, warum selbst bei Erkrankungen wie Schizophrenie, bipolaren Störungen und Depressionen eineiige Zwillinge nicht stes beide erkrankt sind.
Im Bereich der Schizophrenie mahnt Prof. Dr. med. Ludger Tebartz von Elst, ärtzlicher Direktor der und leitender Oberarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsklinik Freiburg, immer wieder an, mehr Grundlagenforschung zu betreiben und körperliche Ursachen und Symptome zu erforschen (vgl. Blog-Post „Schizophrenie – eine Scheindiagnose?)
Fakt ist, dass der Konsum von Haschisch bei manchen Menschen Psychosen auslöst. Doch gibt es weit mehr körperliche Ursachen, die Symptome einer Psychose auslösen können. Vor allem Infektionserkrankungen scheinen eine wichtige Rolle dabei zu spielen bzw. Autoimmunerkrankungen. Eine Möglichkeit ist eine Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis, eine Autoimmunerkrankung, bei der die körpereigene Abwehr die so genannten NMDA-Rezeptoren attackiert. Wird sie erfolgreich mit Immunsupressiva und Blutwäsche behandelt, verschwinden auch die psychotischen Symptome. Bis zu 30 weitere autoreaktive Antikörper stehen im Verdacht, vergleichbare Gehirnentzündungen mit schwerer psychiatrischer Symptomatik auszulösen“, sagt Harald Prüß von der Berliner Charité. Er hofft daher, dass in Zukunft Routinetests zur Diagnose solcher Autoimmunerkrankungen Betroffenen einen langen Leidensweg ersparen.
Auch Multiple Sklerose (MS) löst bei vielen Erkrankten depressive Symptome aus. Auch scheinen bei dieser Erkrankung vorangegangene Infektionen eine wichtige Rolle zu spielen wie durch das Eppstein-Barr-Virus. MS wird als Autoimmunerkrankung bezeichnet, bei der es zu diffusen Entzündungen im Gehirn kommt. Überhaupt scheinen Entzündungsprozesse im Körper eine wichtige Rolle zu spielen. Das würde auch erklären, warum sich entzündungshemmende Medikamente und antientzündliche Ernährung sich wiederum bei manchen Menschen auf Depressionssymptome positiv auswirken. Aber nicht bei allen. Vermutlich verbergen sich hinter aktuellen Diagnosen unterschiedliche Erkrankungen.
Dass Immunreaktionen im Körper psychische Symptome auslösen, lässt sich von jedem gut nachvollziehen: Wenn Sie selbst eine grippalen Infekt „ausbrüten“, fühlen Sie sich schon Tage vorher abgeschlagen und lustlos, ziehen sich sozial zurück. Jede Bewegung ist anstrengend. Alles Symptome, die wir auch bei Depressionen beobachten.
Das Wechselspiel von Körper und Geist besser zu erforschen, ist aus meiner Sicht einer der wichtigsten Aufgaben einer zeitgemäßen Medizin, die Psychologie einschließt. Doch dass beide Fächer weiterhin getrennt voneinander unterrichtet werden, zeigt an, dass es noch ein weiter Weg ist. Bleibt zu hoffen, dass die Corona-Pandemie durch ihre flächendeckende Betroffenheit einen treibenden Effekt hat. Etliche an Long-Covid-Erkrankte oder einige geimpfte Menschen haben nämlich ebenfalls mit Symptomen psychischer Erkrankungen zu kämpfen.
Quellen und Vertiefung
Stefanie Reinberger: Somatopsychologie: Kranker Körper – kranke Seele, in Spektrum.de vom 26.09.2016
Querverweise
Blog-Post „Infektionen mit Toxoplasma gondii oder Bartonella könnte neurologischpsychiatrische Störungen wie Schizophrenie und bipolare Störungen verursachen“
Covid-19 scheint in Einzelfällen Psychosen auszulösen
Covid-19 löst eine für die Erkrankung typische Entzündungsreaktion im Gehirn aus – Parallelen zu veränderten molekularen Prozessen im Gehirn wie sie bei Schizophrenie und Depressionen vorkommen