Wie ein 11-Jähriger die Depression seines Vaters erlebt und seine Mutter ihn dabei unterstützt

Im Zeit-Artikel “ Wenn Kinder Depressionen erleben“ berichtet Miko Sophie Kühmel einfühlsam wie ihr (?) 11-jähriger Sohn P. aus ihrer Sicht die Depressionen seines Vater erlebt. Auf ein paar Punkte aus dem Text möchte ich Sie besonders aufmerksam machen:

„Für Kinder ist die Veränderung ihres Elternteils eher wie schwarze Magie“

Jede Person erlebt irgendwann die Zerbrechlichkeit und damit die Menschlichkeit der eigenen Eltern. Ob das im Angesicht eines Verlustes ist – des Arbeitsplatzes, der Ehepartner*in, anderer identitätsstiftender Merkmale – oder schlicht bei dem Versuch, perfekt zu sein. Aber psychische Erkrankungen sind dabei so trügerisch, weil sie unsichtbar sind, keine nacherzählbaren Geschichten, keine gebrochenen Arme. Es ist am ehesten, als ob jemand gestorben wäre, obwohl niemand gestorben ist. Für ein Kind von psychisch erkrankten Eltern fühlt sich die Veränderung nicht an wie ein trauriger schwarzer Hund*, sondern eher wie schwarze Magie.“

(*Dabei spielt die Autorin vermutlich auf das Buch “ Mein schwarzer Hund: Wie ich meine Depression an die Leine legt“ von Matthew Johnstone an)

Genau so haben betroffene Kinder, mit denen ich gesprochen habe, immer wieder selbst schwere psychiatrische Erkrankungen ihrer Eltern beschrieben: „Es war wie eine fremde Macht, die bei uns einzog.“

„Also sprach ich mit P. über Harry Potter. Nicht über J.K. Rowlings transfeindliche Äußerungen, sondern über die von ihr erfundenen Dementoren. Dunkle Wesen, die sich parasitär vom Glück der Menschen ernähren. Harry Potters größte Angst ist nicht Lord Voldemort, sondern ein Dementor, oder wie sein Lehrer es im dritten Buch formuliert: die Angst vor der Angst. Vor Dementoren schützen kann Harry sich nur, indem er einen Schutzpatron beschwört; und zwar mithilfe einer glücklichen Erinnerung, die ihm Licht gibt und Wärme, die ihn im Leben und in sich selbst verankert.

Heute schaue ich auf diesen Zauber und denke: Verhaltenstherapie at its best.

Also suchen P. und ich nach diesen Erinnerungen, nach allem, was Halt gibt. Oft sind das Bilder, die wir unseren Eltern zu verdanken haben: aus besseren Jahren oder Tagen oder Minuten. Ein Gesicht ganz nah ans wärmende Kaminfeuer im Urlaub gehalten, während nebenan Spaghetti mit Tomatensoße gekocht werden. Eine immer wieder neu erzählte Gutenachtgeschichte. Ein Geruch, ein Geschmack, ein Gefühl – einer dieser tausend Momente, die eine Kindheit (auch) zusammensetzen“

 

Anteilnahme ist besonders wichtig und heilsam

„Am Ende war das Dementoren-Bild für P. vielleicht nur halb so hilfreich wie die Tatsache, dass ich ihm sagen konnte: Ich weiß, wie du dich fühlst. Ich bin auch so ein Kind. Und es ist wichtig, dass wir darüber zumindest hin und wieder sprechen. Dass wir uns gegenseitig fragen, wie es uns geht. Dass wir die Antwort wirklich hören wollen. Und dass dann alles an Gedanken erlaubt ist. Weil wir dann nicht alleine sind. Denn es steckt schon im Wort: Anteilnahme wird mehr, wenn man sie teilt. Auch unter Erwachsenen, die ja mal Kinder waren und Kinder bleiben.“

Als ich das las, musste ich schmunzeln, denn auch als ich damals Harry Potter gelesen habe, musste ich bei der Beschreibung der Dementoren sofort an Depressionen denken und das glückliche Erinnerungen uns durch schwere Zeiten tragen können. Doch wenn diese Zeiten zu lang werden – und das können sie bei psychischen Erkrankungen sowohl für Erkrankte als auch für deren Kinder – wird der Schutzschild der guten Erinnerungen dünn.

Genau wie die Autorin beschreibt ist in dieser Situation für ein Kind viel wichtiger das Gefühl, nicht allein zu sein. Ehrliche Anteilnahme ist so hilfreich und heilsam. Viele UnterstützerInnen der Kinder unterschätzen das. Das ist mir auch immer wieder bei Patinnen und Paten der Kinder aufgefallen. Bei deren Begleitung war es so wichtig, ihnen zu verdeutlichen, dass allein durch Anteilnahme sie so viel für das Kind verändern.

Trotz aller (Dauer-)Belastung das Gute im Leben wahrzunehmen

Bei anhaltenden Belastungen, also eine Art Dauerangriff durch Dementoren, ist es vor allem wichtig, sich in der Gegenwart bewusst zu machen, was es „trotz allem“  Gutes im Leben gibt. Seine Wahrnehmung dahingehend zu fokussieren ist wichtig, um später gut durchs Leben zu kommen. Das übe ich beispielsweise in meinem Seminar „Miteinander WACHSEN“ mit jungen Erwachsenen, die mit psychiatrisch erkrankten Eltern aufgewachsen sind, aber auch mit Kindern. Auch meinem eigenen. Das bedeutet im Umkehrschluss aber nicht, Belastendes zu verdrängen, sondern ihm nicht zu viel Platz im Leben zu geben.

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