Auffällig ist, dass rund ein Drittel der Menschen mit Symptomen einer schweren Depression und die Hälfte der Menschen mit einer generellen Angststörung nicht auf eine Behandlung nach Leitlinienempfehlung anschlagen. Da liegt die Vermutung nahe, dass die Prozesse, die die Symptome dieser Erkrankungen verursachen, bei Menschen unterschiedlich sind und ihr unterschiedliche neurobiologische Dysfunktionen zugrunde liegen. Genau zu diesem Ergebnis kamen Forschende der Stanford University (USA), deren Studie vergangene Woche veröffentlicht wurde. Sie macht Hoffnung, dass es zeitnah eine gezieltere Behandlungsempfehlungen für den jeweiligen Biotyp gibt und dieser ermittelt wird.
Sechs unterschiedliche neurobiologische Dysfunktionen festgestellt
Die ForscherInnen haben herausgefunden, dass es bei Menschen, die unter diesen Erkrankungen leiden, sechs unterschiedliche neurobiologischen Dysfunktionen gehäuft auftraten, es also sechs unterschiedliche „Biotypen“ bei Menschen mit Depressionen und Angststörungen gibt. Diese Menschen unterscheiden sich sowohl in ihren Symptomen, in ihrem Verhalten und auch in ihrer Behandlungsreaktion. Auf die übliche Behandlung mit Antidepressiva und Gesprächstherapie sprechen die jeweiligen Biotypen unterschiedlich gut an. Spannend war auch, dass sich die Biotypen weder in der Geschlechtsverteilung noch beim Alter der Erkrankten unterschieden.
Näheres zur Studie
Dafür hatten die ForscherInnen insbesondere die Gehirnregionen, die in früheren Studien mit diesen Erkrankungen in Verbindung gebracht wurden mit funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) untersucht. Es nahmen insgesamt rund 800 erkrankte, fast alle noch unbehandelte Menschen an der Studie teil und rund 140 als gesunde Kontrollgruppe.
Die sechs unterschiedlichen Biotypen
Die sechs Biotypen machen sich beim Erkrankten durch verschiedene Symptome bemerkbar:
- Am häufigsten war der sogenannte Biotyp CA+. Bei ihm sind Gehirnbereiche für kognitive Kontrolle überaktiv. Dazu zählen viele Prozesse, die das eigene Verhalten steuern, etwa wie wir uns bewegen oder unsere Umwelt und Gefühle wahrnehmen. Die Probanden empfanden weniger Freude als andere Testpersonen. Außerdem waren sie ängstlicher.
- Ein Biotyp (DC+SC+AC+) zeigte erhöhte Aktivität in Gehirnbereichen für Aufmerksamkeit und Ruhe. Betroffene dieses Typs beschäftigen sich mehr damit, Probleme zu lösen.
- Beim Biotyp AC- wurde festgestellt, dass ein Gehirnbereich für Aufmerksamkeit weniger aktiv ist als bei gesunden Menschen. Betroffene litten deswegen seltener unter Anspannung als andere Biotypen.
- Betroffene des Biotyps NSA+PA+ zeigten überaktive Gehirnbereiche bei der Verarbeitung von Emotionen. Diese Testpersonen empfanden daher beispielsweise noch weniger Freude als andere und sie grübelten allgemein mehr.
- Ein seltener Biotyp (Typ: DXSXAXNXPXCX) zeigte keine auffälligen neurologischen Unterschiede im Vergleich zu Gesunden. Das weist den Studienautoren zufolge darauf hin, dass noch nicht alle Zusammenhänge bei Depressionen erforscht wurden. Sie vermuten biologische Auffälligkeiten dafür in anderen Hirnbereichen.
- Ein weiterer seltener Biotyp (Typ: NTCC-CA) zeigte spezifische Aktivitätsmuster, die aber nicht den typischen Mustern von Depressionen entsprechen. Sie neigen weniger dazu, in wiederkehrenden Grübeleien zu verharren. Auch das weist auf individuelle Unterschiede in der Gehirnaktivität von Depressiven hin.
Die passende Therapieform finden
Die Forscher stellten zudem fest, dass der therapeutische Erfolg je nach Biotyp variiert: Für den ersten Biotyp mit den drei überaktiven Hirnregionen, die bei Problemlösungen eine Rolle spielen (DC+SC+AC+), erwies sich eine Verhaltens- und Gesprächstherapie als besonders wirksam, wie die Forscher berichten. Hingegen war diese Art der Behandlung bei dem Biotypen AC-, bei dem die Aufmerksamkeitssteuerung weniger aktiv war, am wenigsten wirksam. Damit liefert die Studie einen Erklärungsansatz, warum bisherige Therapieformen so häufig unwirksam sind.
Fazit und Ausblick
Depressionen liegen unterschiedliche Funktionsstörungen im Gehirn zugrunde. Je nach Biotyp ergeben sich unterschiedliche Therpieansätze. Die Studie trägt dadurch wesentlich zu einer personalisierteren Behandlung bei. Es sollten nun weitere Studien mit einer größeren Stichprobe und der Untersuchung weiterer Therapieansätze folgen. Auf diese Weise können wir hoffentlich bald gezielter behandeln.
Studie
Weitere Quelle
Lynn Zimmermann: Forscher entdecken sechs Formen der Depression, t-online vom 25.06.2024